(erschienen zuerst auf myFanbase)
Als Frank (Chris Evans) die von ihm jahrelang mit Liebe aufgezogene Nichte Mary (McKenna Grace) weggenommen werden soll, weil seiner Mutter Evelyn (Lindsay Duncan) weder das Umfeld, noch die Erziehung oder die Bildung des hochbegabten Enkelkindes gefällt, entbricht ein bitterer Streit um das Sorgerecht. Doch ob Franks Humor und sein scheinbar unzerstörbares Verhältnis zu seiner Nichte auch diese Hürde unbeschadet überstehen werden, zeigt Regisseur Marc Webb in “Begabt”.
Zwischen Blockbustern, Buchverfilmungen, Disney-Reboots und nicht zuletzt Superheldenfilme, die alle durchaus ihre Berechtigung haben in der Kinolandschaft, scheinen kleinere Indiefilme immer häufiger verloren zu gehen. “Begabt” hat hingegen das Potential sich zu einem Zuschauererfolg zu entwickeln. Die Hoffnung, dass alleine der Name Chris Evans die Zuschauer in die Kinos bringen wird, ist nicht unbegründet – aber sie werden überrascht sein. Chris Evans’ Frank ist bis auf kleine Gemeinsamkeiten in der Persönlichkeit nicht mit dem allseits bekannten Captain America zu vergleichen. Frank ist eine Rolle, die Chris Evans besser liegt als seiner Superheldenrolle im Marvel Cinematic Universe. Die Rolle des Ziehvaters ist ehrlicher, bewegender und authentischer als Steve Rodgers es je sein könnte und lässt auf eine Hollywoodkarriere Evans’ hoffen, die sich auf starke Charakterrollen stützt.
In “Begabt” lernt der Zuschauer Frank kennen, der sich seit dem Tod seiner Schwester um seine Nichte Mary kümmert. Seit diese ein Baby ist kennt sie nur ihren Onkel; ihre Großmutter mütterlicherseits hat sich bisher nie für sie interessiert, aber das hat der kleinen Mary sicherlich nicht geschadet. Mit wundervoller Detailtreue führt Regisseur Marc Webb in die Lebensumstände der beiden ein, die neben einer eher unkonventionellen Nachbarschaft auch besondere Menschen im Leben von Frank und Mary in die Handlung einführt. Sehr schnell fühlt man sich so mit dem Leben dort verbunden und erlangt einen tiefen Einblick in die Charaktere.
Nach einigen Jahren Unterricht zuhause, möchte Frank Mary nun auf eine normale Schule schicken, wovon diese alles andere als begeistert ist und sich auch gleich in Schwierigkeiten bringt. Allerdings hängt dies größtenteils damit zusammen, dass ihr Mathematikverständnis im Grundschulalter schon das von Universitätsprofessoren übersteigt. Mary ist begabt. Doch Frank lehnt ein Angebot ab, sie auf eine Begabtenschule zu schicken. Dies frustriert die Lehrerin von Marys Schule so sehr, dass sie Franks Mutter, Marys Großmutter, Evelyn kontaktiert. Diese hat seit dem Tod ihrer Tochter (Marys Mutter) darauf gewartet, Mary genau wie ihre eigenen Kinder in ihrer Begabung zu fördern – oder zu überfordern. “Begabt” schafft es auf erstaunliche Weise eine Brücke zur Vergangenheit zu schlagen, um Geschehnisse in der Gegenwart zu erklären. Es entwickelt sich eine wundervolle Geschichte voller Emotionen und Menschlichkeit, mit exakt platziertem Humor, der niemals zu gewollt wirkt, sondern perfekt zu den Charakteren passt. “Begabt” bringt hoch emotionale, wütende und schmerzhafte Szenen im Gerichtssaal, zusammen mit faszinierenden Szenen, in denen Marys Begabung zum Vorschein kommt. Dieser Spagat hätte schiefgehen können, aber die Dialoge, die einzelnen Momente des Films, sind so unfassbar greifbar und wundervoll ehrlich, dass man sich fragt, warum Filme nicht häufiger einfach nur pure Menschlichkeit in all ihren Facetten zeigen.
Mit “Begabt” hat Marc Webb einen Film erschaffen, der bewegt. Das Herz, welches vielen Filmen der letzten Jahre gefehlt hat, kann hier vom Zuschauer wiedergefunden werden. Nicht nur der Humor und schauspielerischen Leistungen sind wundervoll in die tollen Szenenbilder integriert, auch wird schnell klar, dass Chris Evans häufiger echte und authentische Rollen übernehmen sollte, fernab vom Marvel Cinematic Universe.
Marc Webb: “Begabt – Die Gleichung eines Lebens” (en. “Gifted”)
US: 12.04.2017; DE: 13.07.2017
101 Minuten