(erschienen zuerst auf myFanbase)
Als Jon Burroughs (Domhnall Gleeson, “About Time”) durch einen Zufall Keyboarder der Band The Soronprfbs wird, dessen Sänger Frank kontinuierlich mit einem Pappkopf herumläuft, verändert sich sein ganzes Leben. Nach ein paar hochgeladenen YouTube-Videos wird die Band auf einmal sehr gefragt und sowohl Jons, als auch die Dynamik der ganzen Band ändert sich dramatisch. Und dann ist da natürlich noch Frank, der ein Mysterium bleibt und unter keinen Umständen seinen Pappkopf abnehmen will.
“Frank” wirft den Zuschauer direkt mitten ins Geschehen: Jon Burroughs macht aus allem, was ihm begegnet ein Lied; egal wie abstrus, egal wie unpassend. Als er eines Tages durch sein Heimatdorf läuft, trifft er auf die Band The Soronprfbs, die einen neuen Keyboarder brauchen, da sich ihr Keyboarder gerade, im wahrsten Sinne des Wortes, versucht im Meer zu ertränken. Was absolut schräg und vollkommen aus der Luft gegriffen scheint, ist genau das: scheinbar absolut realitätsfern. Mitunter ist es allerdings genau das, was diese Szene und auch den weiteren Film ausmacht. Dass hier dennoch etwas entstanden ist, das wundervoll und gleichzeitig tragisch menschlich ist, ist dem fantastischen Drehbuch-Duo Jon Ronson (“Männer, die auf Ziegen starren“) und Peter Straughan (“Dame König As Spion“) zuzuschreiben.
Jon ist bei Weitem nicht der Einzige in der Band, der etwas neben der gesellschaftlichen Norm existiert. Die ganze Band rund um ihren Frontmann Frank ist etwas Außergewöhnliches. Allen voran brilliert und dominiert Maggie Gyllenhaal (“The Dark Knight“) als Clara in jeder Szene; in jedem anderen Film wäre dies sicherlich negativ aufgefallen, hier passt es jedoch perfekt zur unkonventionellen Erzählweise. Clara ist, so selbstbewusst und teilweise schon aggressiv sie wirken mag, unheimlich beschützend wenn es um Frank geht – dies macht sie von Beginn an zu einem irritierenden Gegenspieler von Jon. Zum Glück legt sich dies etwas, als die Band in die Wildnis fährt, um ein Album aufzunehmen. Dieser “Ausflug” bringt allerdings noch eine Reihe ganz anderer Probleme und Eigenheiten mit sich.
Als auch nach mehreren Wochen nichts gut genug für Frank zu sein scheint, um es auf das Album zu schaffen, beschließt Jon, den Alltag der Band auf Video festzuhalten und auf YouTube hochzuladen, was dazu führt, dass sich auf einmal eine Menge an Menschen für The Soronprfbs interessiert und sie sogar zum amerikanischen SXSW-Festival eingeladen werden. Die Aufmerksamkeit verändert die einzelnen Bandmitglieder: Jon und Frank wollen, zumindest teilweise, der Masse zuspielen, während Clara und der Rest der Band davon alles andere als begeistert sind. Als Zuschauer sieht man die sich schleichend anbahnende Eskalation schon früh, die Umsetzung im Film trifft trotzdem wie ein Stich ins Herz. Regisseur Leonard Abrahamson versagt dem Zuschauer jede Möglichkeit durchzuatmen und trägt nur weiter zur sich aufbauenden Beklemmung des Zuschauers bei, indem er die absolute Verletzlichkeit des Menschen und dessen verschiedenste Facetten zeigt. Dies gipfelt in Jons wiederholter Forderung, dass Frank doch endlich seinen Pappkopf abnehmen soll.
Aber schon von Beginn an ist absolut klar, dass Frank seinen Pappkof braucht; er stellt einen Schutzraum dar, einen sicheren Bereich. Ohne den Pappkopf ist er ein anderer, oder zumindest ist eine andere Seite an ihm stärker dominierend. Fällt der Schutzraum weg, wird der beeindruckend gespielte Frank automatisch über seine psychische Erkrankung charakterisierbar und unwillentlich Objekt einer Stigmatisierung. Diese zerschlägt der Film jedoch brillant mit dem einfachen Satz “Es ist nichts passiert. Er ist psychisch krank.” innerhalb von Sekunden. Ein Standpunkt, der leider auch heutzutage noch viel zu wenig und selten in Film und Fernsehen deutlich gemacht wird. “Frank” urteilt nicht, er nimmt die Charaktere so wie sie sind und so passt es, dass ein Lied am Ende des Films mit “I Love You All” betitelt ist.
Mal abgesehen davon, dass man den irischen Akzent einfach lieben muss, bietet “Frank” die Entstehung von Freundschaften durch Gespräche über Paviansocken, absolute Liebe zur Musik in den abstrusesten Variationen und wilde Schneeballschlachten. Auch wenn einzelne Charaktere selten in langen Szenen die Chance haben, viel über sich preis zu geben, erfährt man doch erstaunlich viel über sie – und es wird immer wieder hinterfragt, was Menschlichkeit und vermeintliche Normalität ausmacht. Ist ein Mensch, ein Individuum, das nicht der “Norm” der Gesellschaft entspricht, gleich weniger menschlich?
Wer zu Beginn nicht weiß, welcher überaus bekannte Schauspieler sich unter dem Pappkopf befindet, wird in den letzten Minuten des Films mitunter eine Überraschung erleben. Allein für die letzten zehn Minuten, in denen der Pappkopf nicht mehr existiert, verdient dessen Darsteller einen Oscar. Die einzigartige Weise, auf die in “Frank” mit dem Thema psychischer Erkrankungen umgegangen wird, ist ein Paradebeispiel dafür, dass es möglich ist, über diese Dinge zu reden, ohne eine Bewertung irgendeiner Art und Weise abzugeben. Leonard Abrahamson hat mit seinem Film eine wundervolle Geschichte erschaffen, die rohe Menschlichkeit zeigt, ohne dabei an Humor zu verlieren. “Frank” ist mit Sicherheit kein Familienfilm, aber wer Filme mag, die ein bisschen aus der Reihe tanzen, die verschiedenen Facetten von Menschlichkeit zeigen und zum Nachdenken anregen, ist hier goldrichtig.
Leonard Abrahamson: “Frank”
US: 05.09.2014; DE: 27.08.2015
95 Minuten